Vergangene Woche fand im Kosmos in Berlin die Konferenz „Neue Realität“ statt, konzipiert und organisiert von Karl Kratz (in der Onlinemarketingszene bekannt wie ein bunter Guru, äh Hund) und Jan Becker (ein Hypnotiseur, populär in Funk und Fernsehen). Die beiden hatten sich zusammengetan, um eine ganz neue Art von Konferenz zu gestalten, eine Mischung zwischen herkömmlicher Konferenz und Zauberschau, Wissensvermittlung und hypnotischer Extase. Eigenwillig? Ja.

Der Grund für mich das Ticket zu kaufen war die Ankündigung, dass Gunter Dueck mit von der Partie sein würde. Wer ihn nicht kennt: unbedingt googlen und noch wichtiger: schaut Euch seine re:publica-Vorträge der letzten Jahre an.

Jan Becker – Hypnose

Die Konferenz startete mit einer Hypnose-Vorstellung von Jan Becker. Alles sehr beeindruckend, „Es ist alles nur im Kopf“ habe ich mir notiert. Und da ist mehr drin und es wird mehr beeinflusst als man gemeinhin bemerkt. Das war auch seine These, die sich durch den Tag zog. Wir sind durch Gesten und Bilder unterbewusst enorm leicht und gezielt zu beeinflussen, erschreckend manchmal. Wer die Klaviatur beherrscht, der beherrscht sein Gegenüber. In der Abschlusspräsentation führte diese These zu der großartigen Frage, wie man denn ein Werbebanner gestalten muss, damit die Nutzerin hypnotisiert wird und kauft. Und genau dieser Bogen zwischen der Manipulation bzw. dem gezielten Triggern des Unterbewussten und dem Auslösen von Aktionen ist auf einer Marketingkonferenz immer mit dem Kauf von Dingen, dem Verkauf von Ideen verbunden. Diese tiefe persönliche Manipulationsmöglichkeit zum Verkauf von Socken oder Kondomen zu nutzen, für mich eine interessante aber dennoch schwierige Idee. Die Vorstellung, bewusste und selbstbestimmte Entscheidungen zu fällen und zu initiieren, gefällt mir besser.

Zwei Situationen stießen mir persönlich richtig auf. Ganz am Anfang wurden die Teilnehmer mächtig motiviert. Wir sollten aufstehen, die Fäuste in die Luft strecken, uns richtig toll fühlen, unser größtes Ziel vor Augen haben. Die Männer den Gewinn der FußballWM, die Frauen den Gewinn von Germanys Next Topmodell. What? Ich bin 46 Jahre alt, 158 groß, bin Unternehmerin und ziehe zwei Söhne groß, GNT halte ich für schwachsinnig und gefährlich, es hat nichts mit meinem Frauenbild zu tun. Dazu kommt: ich befinde mich auf einer Expertenkonferenz und es geht um das Thema Zukunft und #neue Realität, um die Macht von Bildern und Vorstellungen und dann kommt so ein Spruch? Wie andere Frauen auch wollte ich die Arme senken und innerlich nach Hause gehen, aber der Jan ist ein sympathischer und hat es anderweitig wieder rausgeholt.

Karl Kratz – Perspektiven

Der Vortrag vom Karl am Vormittag hat mir ausgesprochen gut gefallen. Die Stimmung war gelöst und konzentriert. Alle waren bereit, Inhalte aufzunehmen. Es wurde detailliert und grundsätzlich zugleich. Was immer stimmt und was er immer gut rüberbringt: Es geht darum, den Kunden emotional anzusprechen, eine Resonanz zu erzeugen. Und um das zu tun, muß man die Vielfalt der Bedürfnisse erfassen und alle Ebenen der möglichen Persönlichkeiten triggern. Begriff zum googlen: Ebenenmodell.

Prof. Dr. Klemens Skibicki – Wir leben in einer verwirrten Welt

Prof. SKibicki war mir bis dato nicht bekannt. Das ging wohl recht vielen so, denn er hält Vorträge bei Metallverbänden u.ä., kurz in der sogenannten Old Economy. Und er erklärt ihnen, was Digitalisierung ist, bzw. was ihnen fehlt, sich darauf einzulassen. In seinem Vortrag beschrieb er, wie er vorgeht bei der Argumentation, welche „negativen Haltepunkte“ er sieht und wie er ihnen begegnet. Dabei hilft ihm sein historisches Wissen über die industrielle Revolution.

Ein Haufen Argumente, die heute angebracht werden, die gab es auch damals auch schon. Und über Nacht hat sich nichts verändert. Der Mensch ist ein träges Wesen, Veränderung liegt uns nicht. Und das betrifft natürlich nicht nur die noch nicht digitalisierten Unternehmen, die große Mehrheit der Bevölkerung, am Ende betrifft das auch alle im Saal, denn die stetige Notwendigkeit zur Veränderung hört ja nicht auf. Das jedenfalls habe ich so mitgenommen. Denn die nächste Revolution mit Künstlichen Intelligenzen, Virtual & Augmented Reality, die kommt bestimmt.
Schön war noch die Aufbereitung der Einschätzung von Douglas Adams. Nehmt Euch kurz Zeit für die Folie oben bei den Bildern, v.a. die, die über 35 sind…

Prof Dr. Gunter Dueck – Mount Stupid

Wer Herrn Dueck nicht kennt, dem möchte ich doch sehr ans Herz legen, ihn kennenzulernen. Das kann man sehr gut tun, indem man sich seine re:publica- und sonstigen Vorträge der letzten Jahre bei wirklich vielen Konferenzen und Unternehmen anschaut. Sein Konzept der „Cargokulte“ lege ich besonders ans Herz, denn denen jagen wir alle nach, bzw. wir bedienen uns ihrer, naturgegeben erfolglos. Damit gemeint ist das Nachahmen von Verhalten, ohne den eigentlichen Sinn hinter dem Verhalten zu verstehen.

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Doch das war gar nicht Inhalt des Vortrages. Da ging es um das Konzept des „Mount Stupid“, auf dem sich nach Gunter Dueck ein Großteil des Marketings wiederfindet. Das Konzept des „Mount Stupid“ geht auf den amerikanischen Cartoonisten Zach Weinersmith zurück. In einem Comic skizzierte er schon 2008 (naja, das Phänomen ist so neu nicht) die hohe Bereitschaft uninformierter Menschen, sich zu komplexen Themen zu äußern. Der Mount Stupid beschreibt also eine Kurve, die mit leicht zunehmendem Wissen ein starkes Anwachsen der Bereitschaft, sich zu dem Thema zu äußern aufzeigt. Die Kurve fällt dann wieder stark ab. Alle die sich hinter dem „Mount Stupid“ befinden, haben zumindest verstanden, dass sie zu wenig wissen. Erst danach beginnt der langsame Anstieg des wirklichen, hart erarbeiteten Wissens. Die Bereitschaft sich mitzuteilen steigt ebenfalls nur langsam an. Am Ende der Kurve identifiziert Dueck den „Fluch der Weisen“ – sie kann sich nicht mehr erklären. Noch kürzer beschrieben: td/dt -to difficult, didn’t try /zu schwierig, ich hab es nicht versucht – das ist die Erweiterung zum bekannten tl/dr – to long, didn’t read. Wenn wir mal mehr lesen, mehr ausprobieren würden, dann würden wir auch mehr begreifen, aber eventuell nicht mehr so viel in die Welt posaunen. Ich mag ihn.

Ein wenig mehr über den Mount Stupid findet Ihr hier.

Zauberei, Pseudooffenheit und die Frauen

Leider konnte Herr Dueck nicht für den Rest des Tages bleiben. Was folgte war ein Wiederaufnehmen des Themas vom morgen: Hypnose und Magie und was man im Marketing daraus lernen kann. Das war für mich kein starker Teil des Tages, darum erspare ich die Beschreibung. Zahlreiche Berichte sehen das vermutlich anders, lest da gerne nach.

Richtig schlimm fand ich den Umgang mit Konferenzteilnehmerinnen, die plötzlich im Rahmen einer Zaubershow als „Burgfräulein“ stumm und hilflos auf die Bühne entführt wurden, die in ihren BHs Geld verstecken mussten und sich nicht enden wollende Witzelein darüber anhören durften, ob das Geld denn nun an der linken oder rechten Brust steckt, die ganze Zeit ungewiss darüber, ob der Typ doch noch zugreift, und das vor 350 Menschen. An dieser Stelle wurde das gesamte Vorhaben der #Neuen Realität für mich beides: zur Farce, denn die Welt der Frauen als Objekt ist nicht meine neue Welt und gleichzeitig zur Indoktrination, denn Veranstalter, denen das Bild, das Unterbewusste, die Suggestion so geläufig sind, die wissen, was sie hier tun. Sie benutzen nicht nur die Frauen auf der Bühne, sondern alle im Saal und hinterlassen damit das Bild einer sprachlosen Frau mit tollem Busen in alle Hirne eindringen. Und das auf einer Expertenkonferenz und in einem Vortrag, der genau solche Mechanismen offen legen sollte. Frauen, Kinder Hunde – das geht immer, das nicht zu reflektieren ist in meinen Augen ein großes Manko dieser Konferenz. In der Abschlussdiskussion hat sich keine Frau mehr gemeldet. Was ein Wunder.

Mein Fazit abschließend?

  1. Die #Neue Realität ist bei einigen Männern auf der Bühne noch nicht angekommen.
  2. Karl Kratz und Jan Becker haben es mit ihrem Format geschafft, bei mir auf vielen Ebenen Resonanz zu erzeugen.
  3. Gelernt habe ich auch was. Also danke für den spannenden und emotionalen Tag.

Und vielleicht klappt es ja mal mit einem wirklich anderen Blickwinkel.

 

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Alexandra